Zusammenfassung
Ein nachhaltiger Geburtsfehler von Theorien der Öffentlichkeit, Öffentlichen Meinung und Public Relations ist die Verwendung von assoziationsreichen Alltagsbegriffen, und dieser Mangel ist bis heute nicht behoben. Soll das Niveau dieser Theorien verbessert werden, ist es darum geboten, hier mehr Genauigkeit, Ordnung und Übereinstimmung zu schaffen, denn die Qualität von Theorien hängt nicht zuletzt von der Präzision, Kohärenz und Anschlussfähigkeit ihrer Begriffe ab, die wiederum zentrale Gütekriterien empirischer Ergebnisse sind. Doch auch die PR-Praxis krankt an diesem Mangel, der ihre Effizienz beeinträchtigt; denn PR operiert erfolgsorientiert (vgl. Habermas 1981,S. 446), und erfolgreiche (Organisations-)Kommunikation erfordert nicht nur genaue Kenntnisse über die Entstehung, Strukturen und Prozesse von Öffentlichkeiten, sondern auch deren präzise terminologische Reflexion.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Selbstverständlich bleibt auch Theoriesprache letztlich unscharf, weil sie im Vergleich zu ihren Gegenständen stets unterkomplex ist (und sein muss, sonst wäre sie weder Struktur bildend noch erlernbar), doch Wissenschaftler versuchen immerhin, die Präzision von Begriffen durch fortschreitende Differenzierung zu verbessern (z. B. durch Einführung von Neologismen).
- 2.
Fast alle Substantiva mit den Endungen keit und heit bezeichnen bekanntlich Zustände (Geselligkeit, Zugänglichkeit, Anwesenheit, Bekanntheit etc. pp.).
- 3.
Dieses erstaunt vor allem in einer wissenschaftlichen Disziplin, die Öffentlichkeit zum zentralen Forschungsgegenstand erkoren hat.
- 4.
Diese Unterscheidung ist freilich ein vereinfachtes theoretisches Modell, denn wir können nie genau wissen, was andere beobachten und verstehen.
- 5.
Unter einem Ereignis wird hier eine Veränderung von Zuständen oder Vorgängen verstanden, die von einem Beobachter als solche rekonstruiert wird. Durch die räumliche und zeitliche Lokalisierung eines Ereignisses wird aus der Beobachterperspektive die (scheinbare) Gleichförmigkeit von Situationen und Abläufen unterbrochen. Bisherige Unterscheidungen zwischen Ereignis (Veränderung) und Nichtereignis (z. B. Stillstand oder Routine) dienen uns dabei als Aufmerksamkeitsstrategie und Beobachtungsmodell. Insofern sind Ereignisse prinzipiell erwartbar, können uns aber auch überraschen und zur Revision unserer Beobachtungen führen. Damit sind sie so oder so informativ: Entweder sie bestätigen unsere Erwartungen oder sie ,enttäuschen‘ sie i. S. korrektiver Information.
- 6.
Grenzfälle liegen vor, wenn (a) jemand ein Ereignis beobachtet und nicht weiß oder nicht unterstellt, dass dieses auch andere tun, und wenn (b) jemand etwas geheim hält, das ohne sein Wissen von anderen in Erfahrung gebracht und kommuniziert wird (z. B. Eintragungen in ein Tagebuch). Im ersten Fall könnte man von latenter Öffentlichkeit sprechen, im zweiten von einem öffentlichen Geheimnis.
- 7.
Hinzu kommt, dass Beobachtungen und Kommunikationen selbst flüchtig und irreversibel sind, also kurzlebig und einmalig. Zur Veranschaulichung eignet sich vielleicht das Bild eines sich ständig verändernden Netzes aus oszillierenden Leuchtspuren, ein Blitzgewitter, das eine sichtbare Folge rasch wechselnder Spannungen (Erwartungen), Entladungen (Mitteilungen), Impulsen (Irritationen) und Ladungen (Informationen) ist.
- 8.
Massenkommunikation ist daher eine paradoxe Veranstaltung, denn die notwendig hochselektive Fokussierung thematischer Aufmerksamkeit von Produzenten und Rezipienten impliziert eine zumindest
- 9.
Zwar könnte man auch all jene gesellschaftlichen Gruppen als Bezugsgruppen bezeichnen, die (noch) keine Erwartungen an eine Organisation haben (z. B. weil sie nichts von ihr wissen), deren Entscheidungen und Handlungen sie aber durchaus betreffen, doch da nicht selten jeder davon betroffen sein kann, wäre es schwierig, diese im Einzelnen abzugrenzen.
- 10.
Auf eine grafische Darstellung (etwa in Form verschachtelter Kreise) wird hier verzichtet, denn diese würde die multiplen und multikausalen Verflechtungen der jeweiligen Beobachtungen und Kommunikationen allzu sehr vereinfachen. Global betrachtet prozessiert ständig eine Vielzahl heterogener Öffentlichkeiten mit rasch wechselnden Teilnehmern, Themen, Informationen und kommunikativen Aktivitäten, die sich aus vielerlei Quellen speisen und die sich immer wieder verschränken.
- 11.
Während Öffentlichkeitsarbeit das Bemühen meint, Öffentlichkeit durch Kommunikation herzustellen, bezeichnet „Public Relations“ eigentlich öffentliche (d. h. hier weitgehend virtuelle) Beziehungen, und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen die Beziehungen zwischen Organisationen und Nichtmitgliedern und zum andern die organisationsinternen Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern. In beiden Fällen wird zwischen Innen und Außen unterschieden (ingroup/outgroup), wobei die Grenze einmal durch Mitgliedschaft (funktional) und zum andern durch Status (vertikal) bestimmt wird. Und in beiden Fällen beruhen die Beziehungen idealiter auf wechselseitigem Vertrauen.
Literatur
Donk, André, und Joachim Westerbarkey. 2009. Politische Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft: Fragmentierung, Desintegration und Depolitisierung. In Medien - Macht - Demokratie, hrsg Lothar Bisky, Konstanze Kriese und Jürgen Scheele, 18–35. Berlin: Dietz.
Gerhards, Jürgen, und Friedhelm Neidhardt. 1991. Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. In Öffentlichkeit, Kultur, Massenkommunikation, hrsg Stefan Müller-Doohm und Klaus Neumann-Braun, 31–89. Oldenburg: Bibl.- u. Inf.-System d. Univ. Oldenburg.
Goffman, Erving. 1974. Das Individuum im öffentlichen Austausch. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Habermas, Jürgen. 1962. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Neuwied u. a.: Luchterhand.
Habermas, Jürgen. 1981. Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. I. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Hagemann, Walter. 1951. Vom Mythos der Masse. Heidelberg: Vowinckel.
Hölscher, Lucian. 1979. Öffentlichkeit und Geheimnis. Stuttgart: Klett-Cotta.
Merten, Klaus. 1999: Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Bd. 1. Münster: Lit.
Merten, Klaus, und Joachim Westerbarkey. 1994. Public Opinion und Public Relations. In Die Wirklichkeit der Medien, hrsg. Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischenberg, 188-211. Opladen: Westdt. Verl.
Tönnies, Ferdinand. 1922. Kritik der öffentlichen Meinung. Berlin: Springer.
Westerbarkey, Joachim. 1993. Virtuelle Publizität. In Konzepte von Öffentlichkeit, hrsg. Werner Faulstich, 83-100. Bardowick: Wissenschaftler-Verl. Faulstich.
Westerbarkey, Joachim. 1995. Journalismus und Öffentlichkeit. Publizistik 40 (2): 152–162.
Westerbarkey, Joachim. 1998. Das Geheimnis. Die Faszination des Verborgenen. Leipzig: Kiepenheuer.
Westerbarkey, Joachim. 2004. Illusionsexperten. Die gesellschaftlichen Eliten und die Verschleierung der Macht. In Quo vadis Public Relations? , hrsg. Juliana Raupp und Joachim Klewes, 30-41. Wiesbaden: VS
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2013 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Westerbarkey, J. (2013). Öffentlichkeitskonzepte und ihre Bedeutung für strategische Kommunikation. In: Röttger, U., Gehrau, V., Preusse, J. (eds) Strategische Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-00409-5_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-00409-5_2
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-00408-8
Online ISBN: 978-3-658-00409-5
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)