Zusammenfassung
Werner Obrecht hinterfragt die Bedeutung der Sozialwissenschaften als Bezugswissenschaften der Sozialarbeitswissenschaft. Der Autor zeichnet die Entwicklung soziologischer Akteurmodelle nach sowie die Entstehung einer Vorstellungswelt, in der soziale Akteure als reine Kulturwesen gedacht werden. Dieser Perspektive wird ein biopsychosoziokulturelles Modell menschlicher Individuen entgegengesetzt, das als Grundlage für eine neue, strukturelle Theorie sozialer Probleme vorgestellt wird.
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Notes
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Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass Soziale Arbeit sowohl professionalisierungsfähig als auch professionalisierungsbedürftig ist. Beide Prämissen werden noch heute immer wieder in Frage gestellt (vgl. dazu und zur Begründung der Professionalisierungsbedürftigkeit Staub-Bernasconi 2009).
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Die Skepsis richtete sich namentlich gegen die Vorstellung der Existenz transempirischer Dinge im Allgemeinen und sozialer Art im Besonderen, d. h. gegen das geschichtsphilosophische Erbe und äußerte sich, wie etwa bei Weber oder Simmel, statt in ding- in prozessorientierten Vokabularen, die von sozialen Prozessen wie Vergesellschaftung u. a. sprachen, aber nicht von Gesellschaften.
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Die wichtigsten theoretischen Orientierungen, die dazu zählen, sind die Action Theory (G. C. Homans), der Symbolische Interaktionismus (G. H. Mead, H. Blumer), die phänomenologische Soziologie (A. Schütz) und die Ethnomethodologie (H. Garfinkel).
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Der Animismus Platons ist eine der Varianten der spiritualistischen Antwort auf das Körper-Geist-Problem, die den materialistischen Varianten gegenüber stehen.
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Für eine differenziertere Analyse der spezifischen Schwächen der pragmatischen Handlungstheorien unter meta-, basis- und handlungswissenschaftlichen Gesichtspunkten vgl. Obrecht, in Vorbereitung.
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Social Brain Sciences: Gruppe von Disziplinen, die sich mit der Untersuchung menschlichen Fühlens, Denkens und Verhaltens und im Besonderen des sozialen Verhaltens beschäftigen und sich dabei auf die Social Brain Hypothese stützen, wonach das Gehirn sich nicht in der Auseinandersetzung mit der physischen, sondern in Koevolution mit den sozialen Systemen entwickelt, deren aktive Komponenten die Träger dieser Gehirne waren und sind. Vgl. z. B. Dunbar 2009.
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Intersoziale Systeme: Systeme bestehend aus interindividuellen Systemen wie z. B. Organisationen; intersozietale Systeme: Soziale Systeme bestehend aus Gesellschaften wie – u. a. – die gegenwärtige Weltgesellschaft. Universelle Formen der Differenzierung interindividueller Systeme sind die nach Macht und Status, Alter, Geschlecht und Rasse.
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So orientiert sich das Verhalten eines Menschen am Bild des Selbst in seiner natürlichen, sozialen und kulturellen Umwelt, welches das Gehirn laufend und unwillkürlich erzeugt sowie an der hinsichtlich der Ausdehnung variablen Projektion dieses Bildes in eine biologische (biologisches Altern), psychische (psychisches Altern), soziale bzw. strukturelle (soziales Altern) und kulturelle Zukunft (= kognitiver Aspekt der Lebensführung) und eine erfolgreiche Lebensführung eines Menschen besteht im sozial nachhaltigen und subjektiv befriedigenden Bewältigen seiner praktischen und im Besonderen sozialen Probleme im Rahmen seiner Lebenspraxis (bedürfnis- und handlungstheoretischer Aspekt).
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Obrecht, W. (2015). Professionalität ohne professionelles Wissen?. In: Becker Lenz, R., Busse, S., Ehlert, G., Müller-Hermann, S. (eds) Bedrohte Professionalität. Edition Professions- und Professionalisierungsforschung, vol 3. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-00352-4_1
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