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Die Amoralität der Politik und die Moralität ihrer Skandale

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Ethik – Normen – Werte

Part of the book series: Studien zu einer Gesellschaft der Gegenwarten ((SZEGG,volume 1))

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Zusammenfassung

In diesem Aufsatz will ich mich aus einer differenzierungstheoretischen Perspektive mit der Dialektik der Amoralität des Politischen und der Moralkommunikation über Politik am Beispiel politischer Skandale befassen. Ich will mich damit beschäftigten, warum die Klagen über den Verfall des Politischen nie abbrechen, obwohl sie doch scheinbar so wenig bewirken. Ich will erkunden, wie die Eigendynamiken von Politik, Massenmedien und Moralisierung am Beispiel der Skandalkommunikation zusammenspielen. Dieses Verhältnis zu beleuchten ist sinnvoll, um die Funktion der moralischen Rede für unterschiedliche politische Kontexte und politische Öffentlichkeiten herauszustellen. Ich will zeigen, dass die von Niklas Luhmann formulierte und leider oft für blanken Zynismus (miss-)verstandene Formel der ‚Amoralität des Politischen‘ hilfreich ist, um die komplexen Wechselwirkungen von Öffentlichkeit, Massenmedien und Politik in entwickelten Demokratien besser zu verstehen. Hilfreich ist diese Formel vor allem deshalb, weil sie verdeutlicht, dass Politik und Demokratie ebenso wenig eins sind, wie Moral und Demokratie. Politik ist nämlich erstens auch ohne Demokratie zu haben. Mit Luhmann gesprochen: Politik braucht keine Demokratie, um ihren Code zu vollziehen. Macht-haben oder keine-Macht-haben kann man auch in protofaschistischen, kommunistischen oder diktatorisch regierten politischen Systemen. Gleichermaßen hat die historische Entwicklung zweitens gezeigt, dass der moralische Zugriff auf die Bürger nicht in Demokratien, sondern in Diktaturen besonders umfassend war und ist.

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Notes

  1. 1.

    Für hilfreiche Hinweise und Diskussion des Textes danke ich Irmhild Saake, Armin Nassehi und Julia Feiler.

  2. 2.

    Dieser Paradoxie verdankt sich die Ethik (vgl. Saake und Nassehi 2004).

  3. 3.

    Die empirischen Beispiele für diesen Aufsatz entstammen einer Erhebung für eine Dissertation über den Wandel der Parteiorganisation und der Parteimitgliedschaft, die im Jahre 2011 an der LMU München angenommen wurde (Siri 2012) und Folgestudien zu Politik im digitalen Medium von 2011–2013 (vgl. Siri et al. 2012).

  4. 4.

    Es lässt sich sicher darüber streiten, ob eine solche institutionengebunden-dezisionistische Beschreibung für die politische Welt abseits der Volksparteien funktioniert. Dass Luhmann Parteien, die dem Regieren (auch) skeptisch gegenüberstehen, tentativ nicht recht ernst nahm, ist bspw. der Fußnote 26 auf Seite 102 der Politik der Gesellschaft zu entnehmen. Dort beschreibt der die (jungen) Grünen als „unreif“. Nach dem Begriffsverständnis seines Textes, so Luhmann, sei die Übernahme der Reflexion (also der Oppositionshaltung) „symptomatisch für ein nicht ganz geglücktes Verhältnis zur Demokratie“. Diese normativ begründete Perspektive, die die Regierung als „Designationswert“ annimmt und die Rolle der Opposition auf die Reflexion beschränkt, übersieht jedoch, dass das Zustandekommen politischer Entscheidungen vielleicht weniger vom ,tatsächlich‘ (also per institutioneller und/oder juristischer Regelung abgeordneten) Entscheidenden abhängt als von einer komplexen und unüberschaubaren Lage, in der die Darsteller-Entscheider und Organisationseinheiten nicht unbedingt mehr Einfluss auf sich vereinen als andere gesellschaftliche Gruppen oder Lobbys. Gerade die Entstehung der europäischen Piratenparteien scheint zudem darauf hinzuweisen, dass der Designationswert „Regierung“ für Parteien mit hohen Partizipationsansprüchen bis heute nur bedingt attraktiv ist.

  5. 5.

    In dieser wichtigen Einsicht liegt die starke Beobachtung politischen Personals – also jenen, die die Macht ad personam symbolisieren sollen – ebenso begründet, wie eine spezifische Dynamik des politischen Skandals in der Demokratie. Ich komme darauf im dritten Kapitel zurück.

  6. 6.

    Dass nicht einmal die vielleicht autonomste und politisch selbständigste Organisation der Welt, die katholische Kirche, frei ist von derlei Berücksichtigungen medialer Skandalisierung zeigen die katholischen PR-Anstrengungen im Umgang mit dem Missbrauch von Kindern in katholischen Schulen oder zuletzt der Abweisung einer vergewaltigten Frau in zwei katholischen Krankenhäusern in Köln im Frühjahr 2013. In TV-Talkshows und Bekanntmachungen bemühten sich Vertreter der Kirche in letzterem Falle bspw., das religiös begründete Verhalten der Ärztinnen und Ärzte zu verurteilen und erwogen ‚sogar‘ den Einsatz der aus katholischer Perspektive problematischen „Pille danach“.

  7. 7.

    In der Konsequenz sei der Ausgang des Skandals vor allem davon abhängig, wie die politischen Interessen der politischen Akteure sich der Skandalisierung bedienen. Auch können auf den Skandal kleine Subskandale aufsetzen. (ebd.). Ausführlich zur Dramaturgie des Skandals aus der Perspektive verschiedener politischer Darsteller und zu deren Handlungsmotiven vgl. Ebd.

  8. 8.

    Zitat entnommen aus: http://carta.info/33311/kurt-imhof-interview-online-journalismus/ Zugegriffen: 18.9.2012.

  9. 9.

    Vgl. für eine ausführliche Ausarbeitung dieses Gedankens, die hier nicht geleistet werden kann Siri 2012, Kap. 6.2, 8.2, 9.2.

  10. 10.

    Sendung vom 18.2.2010, Transkript abrufbar unter: Zugegriffen: 1.4.2010.

  11. 11.

    Vgl. für den Fall Guttenberg den Band von Oliver Lepsius und Reinhart Mayer-Kalkus (2011).

  12. 12.

    Zur Begriffsgeschichte der „Authentizität“ vgl. Wörterbuch Ästhetische Grundbegriffe von Barck et al. 2004, S. 44–65. In diesem Text wird Authentizität nicht als Wahrheitsbegriff gefasst, sondern als ein Effekt der Kommunikation. Authentizität wird dann beobachtbar, wenn z. B. Journalisten eine Person daraufhin prüfen, ob diese sich authentisch darstellen. Authentizität ist eine Chiffre, anhand derer Individuen sich selbst und andere beobachten. Zu den Folgen der Authentizitätspraxen für Subjekt- und Körperpraxen vgl. Foucault (1987), Villa (2006) und Bublitz (2010), in diesem Band vergleiche außerdem für eine Untersuchung von Praktiken der Authentizität den Text von Saake und Kunz (Kaptiel „Von Kommunikation über Ethik zu „ethischer Sensibilisierung“. Symmetrisierungsprozesse in diskursiven Verfahren“).

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Siri, J. (2015). Die Amoralität der Politik und die Moralität ihrer Skandale. In: Nassehi, A., Saake, I., Siri, J. (eds) Ethik – Normen – Werte. Studien zu einer Gesellschaft der Gegenwarten, vol 1. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-00110-0_8

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