Zusammenfassung
Als Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts das Neue Steuerungs-Modell (NSM) Furore machte, sahen darin viele – mich eingeschlossen – nur eine weitere Stufe in der Modernisierung konservativ-liberaler Hegemonie (Kunstreich 2001, S. 389 ff.). Heute, gut fünfzehn Jahre später, wird deutlich, dass diese Kritik zu wenig radikal war, also nicht wirklich „an die Wurzeln“ ging. Auch wenn damals schon viele Aspekte treffend analysiert wurden – Deregulierung, Ökonomisierung oder „Selbstbeteiligungen“ unterschiedlicher Art –, wird jetzt erst ein innerer Zusammenhang deutlich, der sich als Neo-Sozialhygiene bezeichnen lässt. Dessen besonderes Kennzeichen ist ein Rassismus ohne („biologische“) Rassen. So wie der historische Liberalismus im Sozialdarwinismus einen Gestaltwandel erfuhr, dessen wissenschaftliche Verbrämung als Sozialhygiene bruchlos in einen biologistischen Rassismus überging, lässt sich die ideologische Basisstruktur des neo-liberalen Sozialstaates (oder Postwohlfahrtsstaates –vgl. Dahme und Wohlfahrt 2005; Sandermann 2010) als eine modernisierte Sozialhygiene kodieren, die alle Felder der Sozialen Arbeit durchdringt und als „Rassismus ohne Rassen“ die „Nützlichen“ von den „Unnützen“ trennt (Teil 1). Die Kritik und Dekodierung dieses Prozesses als Suche nach Elementen von Selbstregulierung (Teil 2) soll unterstreichen, dass „das Fundamentalthema unserer Epoche das der Herrschaft (ist), das seinen Gegensatz, nämlich das Thema der Befreiung, mit setzt als das Ziel, das es zu erreichen gilt“ (Freire 1973, S. 85).
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Kunstreich, T. (2012). Grundstrukturen Sozialer Arbeit in Zeiten des Neo-Liberalismus: Neo-Sozialhygiene als Rassismus ohne Rassen. In: Anhorn, R., Bettinger, F., Horlacher, C., Rathgeb, K. (eds) Kritik der Sozialen Arbeit - kritische Soziale Arbeit. Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit, vol 12. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94024-3_4
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