Zusammenfassung
Soziales Handeln wird in den soziologischen Theorien grundsätzlich als prozesshaft verstanden. Eine griffige Formulierung dieses Zusammenhangs liefert Giddens mit seiner Definition von Handeln als „kontinuierlicher Prozeß“ Ein wesentliches Merkmal von Prozessen bildet die zeitliche Abfolge, so dass soziales Handeln aus Interaktions- oder Kommunikationsakten besteht, die sich zeitlich parallel, versetzt oder nacheinander ereignen. Falls man die zeitliche Reihenfolge nicht als zufällige Kette von Ereignissen betrachtet, sondern eine Beziehung der Ereignisse untereinander unterstellt, gelangt man zu der spezielleren Definition rekursiver Prozesse. Bei rekursiven Prozessen setzen die nachfolgenden Handlungen auf den vorangehenden auf und verstärken auf diese Weise die Selektivität der vorangegangenen Handlungen. Zusätzlich sind die gegenwärtigen Ereignisse auf die Zukunft bezogen, z. B. durch Handlungsziele, Prognosen oder Planungen. Eine dritte Definition des Prozessbegriffs bezieht sich auf Wandlungsprozesse, die auf der Interaktions- und Gesellschaftsebene analysiert werden. Wandlungsprozesse liegen dann vor, wenn sich die Prozessmuster während eines Zeitabschnitts ändern.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Eine alternative Diskussion der Prozessperspektive eröffnet der methodologische Begriff der Mechanismen. Im Rahmen der mechanismischen Erklärungen (Schmid 2006) werden unterschiedliche generative Mechanismen als Erklärungsmuster für soziale Prozesse diskutiert. M. Bunge verbindet die Begriffe Mechanismus und Prozess, indem Mechanismen die Abfolge von Ereignissen zu Prozessen generieren (Bunge 1999, S. 21). Der Begriff Mechanismus als Generierungsprinzip von Ereignisfolgen erweist sich für die Prozessanalyse als hilfreich, wobei der Begriff offen lässt, ob das Generierungsprinzip als soziale Struktur oder als Dynamik des Handlungsprozesses zu verstehen ist.
- 2.
Luhmann (2002, S. 94) verwendet den Begriff der „Strukturkausalität“ anstelle von potency.
- 3.
Ein vergleichbar anspruchsvolles Konzept entwickelt Weick im Rahmen der konstruktivistischen Organisationstheorie mit dem Modell des sensemaking (Weick 1995, S. 70), nach dem die intersubjektive und die generisch-subjektive Organisationsebene wechselseitig verschränkt sind.
- 4.
- 5.
Die Stärken der Strukturationstheorie sind die Integration von Struktur und Prozess und die Erfassung der Prozessdynamik. Der Begriff der Rekursivität bleibt dagegen hinter der Entwicklungsstufe insbesondere von Systemtheorie und Sequenzanalyse zurück. Sozialen Wandel erklärt Giddens konflikttheoretisch als Machtkampf (1997, S. 313) und setzt damit die Tradition der gesellschaftlichen Transformationstheorien fort.
- 6.
- 7.
Ortmann (1995, S. 296–297) beschreibt das Beispiel der Pünktlichkeit, das in der rekursiven Praxis auf just-in-time ausgeweitet wird.
Literatur
Abbott, Andrew. 2001. Time matters. On theory and method. Chicago: The University of Chicago Press.
Abbott, Andrew, und Angela Tsay. 2000. Sequence analysis and optimal matching methods in sociology. Sociological Methods & Research 29:3–33.
Allweyer, Thomas. 2005. Geschäftsprozessmanagement. Strategie, Entwurf, Implementierung, Controlling. Herdecke: W3 L-Verlag.
Arthur, W. Brian. 2000. Increasing returns and path dependence in the economy. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Baecker, Dirk. 2005. Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Baur, Nina. 2005. Verlaufsmusteranalyse. Methodologische Konsequenzen der Zeitlichkeit sozialen Handelns. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Becker, Torsten. 2008. Prozesse in Produktion and Supply Chain optimieren. Berlin: Springer.
Box, George E. P., und Gwilym M. Jenkins. 1976. Time series analysis for forecasting and control. San Francisco: Holden-Day.
Bunge, Mario. 1999. The sociology-philosophy connection. New Brunswick: Transaction.
Corbin, Juliet, und Anselm Strauss. 2008. Basics of qualitative research. Techniques and procedures for developing grounded theory. Thousand Oaks: Sage.
Czarniawska, Barbara. 1998. A narrative approach to organization studies. Thousand Oaks: Sage.
Davenport, Thomas H. 1993. Process innovation. Reengineering work through information technology. Boston: Harvard Business School Press.
Elias, Norbert. 2006. Soziale Prozesse. In Grundbegriffe der Soziologie, Hrsg. Bernhard Schäfers und Johannes Kopp, 221–226. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Esser, Hartmut. 1996. Soziologie. Allgemeine Grundlagen. Frankfurt a. M.: Campus.
Esser, Hartmut. 1999. Situationslogik und Handeln. Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bd. 1. Frankfurt a. M.: Campus.
Esser, Hartmut. 2000. Die Konstruktion der Gesellschaft. Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bde. 2. Frankfurt a. M.: Campus.
Esser, Hartmut. 2001. Sinn und Kultur. Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bde. 6. Frankfurt a. M.: Campus.
Fischermanns, Guido, und Wolfgang Liebelt. 1997. Grundlagen der Prozeßorganisation. Gießen: Verlag Dr. Götz Schmidt.
Garfinkel, Harold, und Harvey Sacks. 1979. Über formale Strukturen praktischer Handlungen. In Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns, Hrsg. Elmar Weingarten, Fritz Sack, und Jim Schenkein, 130–176. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Garfinkel, Harold. 1963. A conception of, und experiments with, ‚trust‘ as a condition of stable concerted actions. In Motivation and Social Interaction, Hrsg. O. J. Harvey, 187–238. New York: Ronald Press.
Garfinkel, Harold. 2002. Ethnomethodology’s program. Working out Durkheim’s aphorism, Hrsg. Anne Warfield Rawls. Lanham: Rowman & Littlefield.
Gaitanides, Michael. 1998. Business Reengineering/Prozeßmanagement – von der Managementtheorie zur Theorie der Unternehmung. Die Betriebswirtschaft 58:369–381.
Gaitanides, Michael. 2004. Prozessorganisation. In Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, Hrsg. Georg Schreyögg und Axel v. Werder, 1208–1218. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Gaitanides, Michael. 2007. Prozessorganisation. München: Vahlen.
Giddens, Anthony. 1997. Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt a. M.: Campus .
Goffman, Erving. 1973. Rollendistanz, in: ders. Interaktion: Spaß am Spiel/Rollendistanz, 93–171. München: Piper.
Goffman, Erving. 1974. Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Goffman, Erving. 1975. Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Goffman, Erving. 1977. Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hartung, Joachim, Bärbel Elpelt, und Karl-Heinz Klösener. 1999. Statistik. Lehr- und Handbuch der angewandten Statistik. München: Oldenbourg.
Keller, Gerhard, und Thomas Teufel. 1997. SAP R/3 prozeßorientiert anwenden. Iteratives Prozeß-Prototyping zur Bildung von Wertschöpfungsketten. Bonn: Addison-Wesley.
Luhmann, Niklas. 1984. Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas. 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas. 2000. Organisation und Entscheidung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Luhmann, Niklas. 2002. Die Politik der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Mertens, Peter, et al. 2000. Grundzüge der Wirtschaftsinformatik. Berlin: Springer.
Miebach, Bernhard. 2009. Prozesstheorie. Analyse, Organisation und System. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
North, Douglass C. 1990. Institutions, institutional change and economic performance. Cambridge: Cambridge University Press.
Normann, Richard. 2004. Reframing business. When the map changes the landscape. Chichester: Wiley.
Oevermann, Ulrich. 1991. Genetischer Strukturalismus und das sozialwissenschaftliche Problem der Erklärung der Entstehung des Neuen. In Jenseits von Utopia. Theoriekritik und Gegenwart, Hrsg. Stefan Müller-Doohm, 267–336. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Ortmann, Günther. 1995. Formen der Produktion. Organisation und Rekursivität. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Parsons, Talcott. 1959. An approach to psychological theory in terms of the theory of action. In Psychology: A study of science. Bd. 3, Hrsg. Sigmund Koch, 612–711. New York: McGraw-Hill.
Parsons, Talcott. 1976. Zur Theorie sozialer Systeme. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Parsons, Talcott. 1977. Some problems of general theory in sociology, in: ders. Social systems and the evolution of action theory, 229–269. New York: The Free Press.
Parsons, Talcott. 1980. Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Picot, Arnold, Ralf Reichwald, und Rolf T. Wigand. 2003. Die grenzenlose Unternehmung. Information, organisation, management. Wiesbaden: Gabler.
Pierson, Paul. 2004. History, institutions, and social analysis. Princeton: Princeton University Press.
Porter, Michael E. 1989. Wettbewerbsvorteile (Competetive Advantage). Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt a. M.: Campus.
Poole, Marshall Scott, et al. 2000. Organizational change and innovation process. Theory and methods for research. Oxford: University Press.
Reichmann, Thomas. 1993. Controlling mit Kennzahlen und Managementberichten. Grundlagen einer systemgestützten Controlling-Konzeption. München: Vahlen.
Roberts, John. 2004. The modern firm. Organizational design for performance and growth. Oxford: Oxford University Press.
Schreyögg, Georg, Jörg Sydow, und Jochen Koch. 2003. Organisatorische Pfade – Von der Pfadabhängigkeit zur Pfadkreation? In Managementforschung 13, Hrsg. Georg Schreyögg und Jörg Sydow, 257–294. Wiesbaden: Gabler.
Schmid, Michael. 2006. Die Logik mechanismischer Erklärung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Staehle, Wolfgang H. 1991. Management. Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. München: Vahlen.
Tilly, Charles. 1984. Big structures, large processes, huge comparisons. New York: Russel Sage Foundation.
Tilly, Charles. 2004. Observations of social processes and their formal representations. Sociological Theory 22:594–601.
Walgenbach, Peter, und Nikolaus Beck. 2000. Von statistischer Qualitätskontrolle über Qualitätssicherungssysteme hin zum Total Quality Management – Die Institutionalisierung eines neuen Managementkonzepts. Soziale Welt 51:325–354.
Weick, Karl E. 1995. Sensemaking in organizations. Thousand Oaks: Sage.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Miebach, B. (2015). Theoretische und empirische Analyse sozialer Prozesse. In: Schützeichel, R., Jordan, S. (eds) Prozesse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93458-7_9
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-93458-7_9
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-17660-4
Online ISBN: 978-3-531-93458-7
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)