Zusammenfassung
Kultur steht nach Bauman für die Art, wie Menschen die Welt sehen und über die Welt denken. Sie ist eine soziale Praxis, die es den Menschen ermöglicht, die Welt nach ihren Vorstellungen des Wünschenswerten zu strukturieren und damit konstante Randbedingungen für erfolgreiches Handeln in der Zukunft zu schaffen (Bauman 1999, Culture as Praxis, S. 98). Durch Kultur gewinnen die Menschen die Fähigkeit, aus einem nahezu unendlichen Möglichkeitsraum eine soziale Ordnung zu konstruieren, die zwar ein Produkt des handelnden Zusammenwirkens ist, aber dennoch so unveränderlich erscheint, dass die Menschen sich an dieser Ordnung orientieren können (Bauman und Beilharz, Zygmunt Bauman, 2002, S. 36; Smith, Zygmunt Bauman, 2002, S. 81). Bauman betont die Konstruktionsleistung der Menschen in diesem Ordnungsprozess. Die Konstruktion einer der Kultur entsprechenden Ordnung impliziert immer auch eine Entscheidung darüber, was zum Wünschenswerten gehört und was nicht. Soziale Ordnung wird dadurch geschaffen, dass Unterscheidungen getroffen und Selektionen vorgenommen werden: „To design an order means to select, to choose“ (Bauman, Thinking sociologically, 1990, S. 146). Folglich entsteht durch Kultur immer eine bestimmte Ordnung mit bestimmten Elementen, wobei Nicht-Ordnung – jene Elemente, die als nicht zugehörig zur Ordnung definiert werden – beseitigt werden soll: „Culture is about introducing and keeping an order and fighting everything that departs from it and that from the point of view of this order looks like chaos“ (Bauman 1990, Thinking sociologically, S. 143).
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Notes
- 1.
Kontingenz bedeutet, dass kein Ereignis wahrscheinlicher ist als ein anders, so dass kontingentes Sein keine Struktur hat (Baumann 1997, S. 26).
- 2.
Zur Kritik an diesem in der Soziologie oftmals verwendeten Menschenbild siehe Sloterdijk (2004, S. 671 ff.), der den Menschen vielmehr als Luxuswesen begreift. In dieser Perspektive ist es gerade die „Gesellschaft im Überfluss“, die sich besonders bezüglich ihrer Mängel beobachtet. Theoretisch sei es aber völlig unklar, wie die natürliche Evolution Lebewesen mit Anfangsmängeln hervorbringe. „Eine so dramatische Mitgift an Beraubungen ist aus einer Naturgeschichte des Vormenschen unmöglich zu gewinnen. Die sich selbst überlassene Natur kennt keine erfolgreiche Überlieferung von Unangepasstheiten oder tödlichen Schwächen – allenfalls risikoträchtige Spezialisierungen vom Typus Pfauengefieder oder Hirschgeweih, Effekte, von denen bei homo sapiens gerade nicht die Rede sein kann“ (Sloterdijk 2004, S. 704 f.). Sloterdijk bestreitet nicht, dass Kultur für die menschliche Entwicklung notwendig ist, betont aber, dass nur das Ineinandergreifen von biologischen und kulturellen Faktoren die Besonderheit des homo sapiens hat entstehen lassen können. Sloterdijks Kritik an dem Konzept der Weltoffenheit und der Kategorie Entlastung kann hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden. Doch das Ergebnis kann in seinen Worten festgehalten werden: „Homo sapiens ist, mit anderen Worten, nicht ein Mängelwesen, das seine Armut mit Kultur kompensiert, sondern ein Luxuswesen, das durch seine protokulturellen Kompetenzen hinreichend gesichert war, um angesichts aller Gefährdungen zu überleben und gelegentlich zu prosperieren. […] Homo sapiens ist ein basal verwöhntes, polymorph luxurierendes, multipel steigerungsfähiges Zwischenwesen, zu dessen Bildung genetische und symbolisch-technische Formkräfte zusammengewirkt haben. Sein biomorphologischer Befund deutet auf eine lange Geschichte autoplastischer Verfeinerung. Seine Verwöhnungschancen sind von weither vererbt. Zugleich bleibt er mit einer durchaus animalischen Zähigkeit ausgerüstet, mehr noch, begabt mit einer über das Tiererbe hinausgehenden, vom Zeitbewusstsein der Hoffnung illuminierten Kapazität zum Ausharren unter kargsten Umständen“ (Sloterdijk 2004, S. 706).
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Dieses Schicksal traf vor allem die Mehrheit der männlichen Bevölkerung. Die Frauen wurden der autoritären Reglementierung und Überwachung durch männliche ‚Familienoberhäupter‘ unterstellt (Bauman 1997, S. 176).
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Bauman zeigt die Angst vor der modernen Ambivalenz immer wieder an der Figur des Fremden, der sich eben dem eindeutigen Freund-Feind-Schema widersetzt, da er sowohl nahe als auch fern ist. Der Fremde als „unauslöschlich ambivalente Entität“ ist „das tödliche Gift der Moderne“ (Bauman 1991, S. 82 f.). Vgl. zur Schlüsselkategorie der Ambivalenz bei Bauman auch Junge (2002).
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Man denke nur an die Pionierarbeit auf den Gebiet der Eugenik der deutschen Wissenschaftler. Der Wissenschaftler ist ein gutes Beispiel der Adiaphorisierung, insofern er der „Objektivität“ der Wissenschaft verschrieben ist, die keine individuell-moralische Impulsgebung zulässt, unterstützt wiederum von der bürokratischen Struktur der Wissenschaft.
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„Das Eigentum der Frau an ihrem Körper, […] (und im Zuge des rasanten Fortschritts der Gentechnologie auch die Abneigung gegenüber bestimmten Eigenschaften des anderen Wesens, die besondere Fürsorge verlangen und somit die Wahlfreiheit einschränken oder Unannehmlichkeiten bereiten) betrachtet man als gute Gründe, um einem anderen menschlichen Wesen das Recht auf Leben zu verweigern“ liest man bei Bauman (1996, S. 63) dazu. Eine zwangsläufige Verbindung zwischen Abtreibung/Sterbehilfe und „Holocaust neuen Stils“ besteht nur dann, wenn man Baumans Konzeption der Adiaphorisierung folgt (vgl. kritisch Kron 2001; Rommelpacher 2002).
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Reddig, M., Kron, T. (2014). Die Kultur der Gegenwart bei Zygmunt Bauman. In: Junge, M., Kron, T. (eds) Zygmunt Bauman. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19903-0_17
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