Zusammenfassung
Die deutschen Gewerkschaften sind in einer Vielzahl sozialpolitischer Felder aktiv. Doch anders als zu ihrer Gründungszeit im 19. Jahrhundert, als sie autonome Selbstversorgungskassen verantworteten, sind sie heute primär daran interessiert, das Leistungsniveau der staatlichen Sozialpolitik zu fördern. Dazu nutzen sie auch ihre institutionalisierte Stellung in den semiautonomen Selbstverwaltungsgremien der sozialen Sicherung, in die sie mit der Entstehung des staatlichen Sozialversicherungssystems integriert wurden. Während also in den Anfangsjahren der Gewerkschaften eine eigenständige Gestaltung von Sozialpolitik im Vordergrund ihrer Arbeit stand, verschob sich durch die im Kaiserreich beginnende staatliche Übernahme der sozialen Sicherungspolitik der Fokus des gewerkschaftlichen Kerngeschäfts auf die Tarifpolitik. Mit der sozialpolitischen Dominanz des Staates und dem Aufstieg der Tarifpolitik zur gewerkschaftlichen Königsdisziplin war die Sozialpolitik für die Gewerkschaften nicht abgetan; sie erhielt jedoch einen deutlich anderen Stellenwert. So lässt sich heute beobachten, dass die Gewerkschaften in ihren sozialpolitischen Aktivitäten und Forderungen primär darauf ausgerichtet sind, dass sich die staatliche Sozialpolitik an den Interessen der Beschäftigten orientiert. Mit dieser appellativen Funktion sind sie ein wesentlicher Akteur, der die sozialpolitischen Debatten in der Bundesrepublik prägt.
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Literatur
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