Zusammenfassung
Der Beitrag von Detlef Sack und Sebastian Fuchs widmet sich dem Verhältnis zwischen Parlamenten und Organisationen der funktionalen Selbstverwaltung, im Besonderen den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie und unter welchen Bedingungen die mit Politik und Verwaltung eng gekoppelten Wirtschaftskammern ihren privilegierten Zugang zu Politik und Verwaltung in politischen Einfluss ummünzen können. Während ein Gutteil der Forschung zu Einflussmöglichkeiten von Verbänden auf die Hinterbühne des politischen Prozesses konzentriert ist, widmet sich der Beitrag parlamentarischen Anhörungen als deren Vorderbühne. Anschließend an eine Vorstellung der Eigenschaften der Wirtschaftskammern werden die Ergebnisse der einschlägigen Forschung zum politischen Einfluss der Wirtschaftskammern dargestellt. Die Autoren wenden sich dann gesondert den öffentlichen Anhörungen in Parlamenten als einem Format der politischen Kommunikation zu. Dies geschieht nicht in der Annahme, dass diese Vorderbühne des politischen Prozesses für das Politikergebnis ausschlaggebend ist. Vielmehr soll geklärt werden, auf welche Weise die Beziehungen zwischen Wirtschaftskammern und Parlament, aber auch spezifische Probleme der Formulierung gemeinsamer Interessen von Unternehmen sichtbar werden. In diesem Zusammenhang wird ein konzeptioneller Rahmen zur öffentlichen Anhörung als kommunikativer Situation präsentiert. Beispielhaft konzentrieren sich die beiden Autoren dann auf zwei Anhörungen zum nordrhein-westfälischen Gemeindewirtschaftsrecht bei unterschiedlichen politischen Mehrheitsverhältnissen. Ersichtlich werden die institutionellen Leitbilder und Policy-Präferenzen der Wirtschaftskammern und deren Kongruenz mit der Programmatik christdemokratischer und liberaler Parteien, wobei Probleme der internen Interessenaggregation innerhalb der Mitgliedschaftslogik der Kammern stets wahrnehmbar bleiben. Ebenso werden die strategische Reflexivität der Wirtschaftskammern und ihre Kooperationsbereitschaft bei ‚unvorteilhaften’ parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen offenbar, die auf die Ressourcendependenz von der Politik zurückzuführen sind.
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Notes
- 1.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks werden traditionell zu den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft gezählt.
- 2.
2011 haben die 80 deutschen IHKn ca. 5,2 Mio. Mitgliedsunternehmen und die 53 HWKn ca. 988.000 Mitgliedsunternehmen.
- 3.
Die Unterschiede zwischen den Wirtschaftskammern – und die sich daraus ergebende zumindest latente Organisationskonkurrenz (s. a. Sack und Schroeder 2008) – liegen nicht allein im abweichendem territorialen Zuschnitt, sondern a) darin, dass in den Gremien der HWKn eine Arbeitnehmerrepräsentanz von einem Drittel festgeschrieben ist (Arbeitnehmer sind in den Vollversammlungen der IHKn nicht integriert). Merkliche Unterschiede zeigen sich b) auch im Wahlrecht: Dieses sieht für die HWKn eine Listenwahl vor. In den Satzungen der IHKn ist das Persönlichkeitswahlrecht für einzelne Kandidaten innerhalb einer Wahlgruppe festgeschrieben; c) haben HWKn die Rechtsaufsicht über Innungen und Kreishandwerkerschaften, also die Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft. Schließlich besteht d) ein zentraler Unterschied in der sozialen Integration, insofern ‚das Handwerk’ für eine gemeinsame Identität der Unternehmen steht (Müller 2011) und somit bei der Interessenaggregation ein vergemeinschaftetes Berufsethos (hoher Stellenwert von Ausbildung, Qualität, Verlässlichkeit familiengeführter klein- und mittelständischer Unternehmen) als Referenz dient (Dannenbring 2009, S. 26).
- 4.
Die Vollversammlungen der Wirtschaftskammern sind – um eine angemessene Repräsentation der unterschiedlichen Branchen und Gewerke sicherzustellen – in gewichtete Wahlgruppen unterteilt (Sack 2011, S. 432–436).
- 5.
Entscheidender Grund für die Aufrechterhaltung der Pflichtmitgliedschaft der Wirtschaftskammern ist das System der Dualen Berufsausbildung. Diese gilt – insbesondere vor dem Hintergrund der Krise und der hohen Jugendarbeitslosigkeit in anderen EU-Mitgliedsstaaten – als entscheidender komparativer institutioneller Vorteil Deutschlands. Die Neigung der Fachpolitiker/innen, ein bewährtes Berufsausbildungsmodell durch die Schwächung der Wirtschaftskammern in Frage zu stellen, ist kaum vorhanden.
- 6.
Wie auf der Bundesebene auch ist die Anzahl von öffentlichen Anhörungen im Landtag Nordrhein-Westfalen erheblich angestiegen. Seit der Reform der Geschäftsordnung des Landtags 2005 (NW LT-Drs. 14/1 vom 06.06.2005; GeschO i. d. F. v. 06.06.2005) wurde die Bedeutung der öffentlichen Anhörung kontinuierlich gestärkt. Die interne Expertenanhörung wurde mit dem grundsätzlich öffentlichen Hearing zusammengefasst. Auf die Reform von 2005 folgte im Jahr 2006 die Aufwertung der Minderheitsrechte bei der Einberufung von Ausschüssen (NW LT-Drs. 14/1441, GeschO i. d. F. v. 08.03.06). Seitdem sind neben einem Viertel der Ausschussmitglieder ebenfalls einzelne Fraktionen zur Einberufung einer Anhörung berechtigt.
- 7.
Wiederum stellten die IHKn NRW die abweichende Position der in den IHKn organisierten kommunalen Unternehmen in privater Rechtsform fest (NW LT-Stn. 15/71, S. 3).
- 8.
Dies wird auch an der relativ großen Zahl an Handwerksorganisationen deutlich, die sich an dem Hearing beteiligten: Neben den Dachorganisationen brachten mit den Fachverbänden des Gebäudereiniger-, Elektro- und Sanitär-Heizung-Klima-Handwerks gleich drei Gewerke eigene Stellungnahmen ein.
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Sack, D., Fuchs, S. (2014). Wirtschaftskammern und Parlamente. In: von Winter, T., von Blumenthal, J. (eds) Interessengruppen und Parlamente. Schriften der DVPW-Sektion Regierungssystem und Regieren in der Bundesrepublik Deutschland. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19161-4_7
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