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Performativität ersetzt Hermeneutik. Affektive Zeugenschaft im Gerichtssaal

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Bezeugen

Part of the book series: Kriminalität in Literatur und Medien ((KLM,volume 2))

Zusammenfassung

Zwischen 1998 und 2012 fanden in Moskau verschiedene Gerichtsprozesse gegen Kurator*innen und Künstler*innen statt. In allen Gerichtsprozessen ging es um die Frage, ob Kunst – Bilder, Installationen, Performances – religiöse und/oder nationale Gefühle verletzt und ob sie Hass geschürt habe. Der Artikel diskutiert einerseits, mit welchen Konzepten von Zeugenschaft, die schädliche Wirkung von Kunst bewiesen und dabei Hermeneutik durch Performativität ersetzt werden soll, und andererseits, wie Künstler*innen auf diese Konzepte von Zeugenschaft reagieren.

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Notes

  1. 1.

    Frimmel: Kunsturteile, 236.

  2. 2.

    Vgl. Müller: „Kann Übersetzen strafbar sein?“; Cather: The Art of Censorship.

  3. 3.

    Seit 2013 ist die Verwendung religiöser Symbole keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern wird in Art. 148 des Strafgesetzbuches festgehalten, so dass nun „[ö]ffentliche Handlungen, die eine offene Missachtung der Gesellschaft darstellen und die mit dem Ziel, die religiösen Gefühle der Gläubigen zu verletzen, durchgeführt wurden“, mit Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren bestraft werden können. Vgl. Frimmel: Kunsturteile, 126.

  4. 4.

    Ugolovnyj kodeks Rossijskoj Federacii, vom 13.06.1996, N 63-F3, Stat’ja 213: Chuliganstvo 1b: „б) пo мoтивaм пoлитичecкoй, идeoлoгичecкoй, pacoвoй, нaциoнaльнoй или peлигиoзнoй нeнaвиcти или вpaжды либo пo мoтивaм нeнaвиcти или вpaжды в oтнoшeнии кaкoй-либo coциaльнoй гpyппы“ (Übers. d. Autorin).

  5. 5.

    Nach der russischen Revolution wurden zahlreiche antireligiöse Kampagnen der sogenannten Gottlosen (bezbožniki) durchgeführt. Zwischen 1918 und 1920 wurden viele Popen ermordet und Hunderte von Geistlichen verhaftet und umgebracht. Vgl. Fröhlicher/Sasse: Gerichtstheater, 75.

  6. 6.

    Vgl. Frimmel: Kunsturteile, 191.

  7. 7.

    Zit. nach Frimmel: Kunsturteile, 193. Frimmel zitiert aus Volksverteidigung 2007: Sledstvie po delu vystavki ‚Zapretnoe iskusstvo – 2006‘.

  8. 8.

    Vgl. Frimmel: Kunsturteile, 22.

  9. 9.

    Ebd., 139.

  10. 10.

    Ebd., 227.

  11. 11.

    Vgl. Stavickaja: Vystuplenie, 8.

  12. 12.

    Frimmel schreibt, dass z. B. ein „Gutachten, angefertigt von Spezialisten für zeitgenössische Kunst, Mitarbeitern des National Centre for Contemporary Arts (NCCA) in Moskau“ als Beweismittel nicht zugelassen wurde, „da laut dem russischen Gesetz nur die Anklage das Recht hat, Gutachten erstellen zu lassen“. Experten werden vom Gericht ernannt und dienen der Seite der Anklage, Spezialisten können auch von der Verteidigung benannt werden, allerdings wurden die von der Verteidigung genannten Spezialisten in den Gerichtsprozessen nicht zugelassen. Frimmel schreibt: „Dies ist nicht etwa, wie es in einigen Quellen den Anschein hat, eine Benachteiligung der angeklagten Kuratoren und Künstler (…), sondern ein Charakteristikum der russischen Gesetzgebung zum grundsätzlichen Nachteil der Angeklagten.“ Frimmel: Kunsturteile, 40.

  13. 13.

    Vgl. Sasse: Wortsünden, 243–244.

  14. 14.

    Vgl. Lastovka: Tunejadstvo v SSSR 1961–1991.

  15. 15.

    Varšavskij: Protokol, 282.

  16. 16.

    Vasil’cev: Ljaguška v bolote.

  17. 17.

    Varšavskij: Protokol, 283.

  18. 18.

    Ginsburg: Weißbuch, 220; Vgl. auch Sasse: Den Staat an seine Gesetze erinnern, 107–133; Sasse: „Words are no deeds“, 123–138.

  19. 19.

    Gor’kij: An M.L. Slonimskij, 566.

  20. 20.

    Vgl. Sasse: Wortsünden, 305–306.

  21. 21.

    Lunatscharski: Die Revolution und die Kunst, 27.

  22. 22.

    Lunačarskij: Die Grundlagen der künstlerischen Bildung, 116.

  23. 23.

    Vgl. Butler: Haß spricht, 35. Butler fragt in ihrem Buch, wie die performativen Äußerungen, u. a. in juristischen Kontexten, einerseits diskursiv Wahrheit konstituieren, andererseits aber – solange die Ebene der Sprache nicht verlassen wird – signalisieren, dass der Prozess der diskursiven Konstitution von Wahrheit und Wirklichkeit jederzeit verlassen und gestört werden kann.

  24. 24.

    Ebd., 67.

  25. 25.

    Vgl. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, 29.

  26. 26.

    Ginsburg: Weißbuch, 220.

  27. 27.

    Vgl. Terc (Sinjavskij): Sud idet, 278.

  28. 28.

    Ginsburg: Weißbuch, 225.

  29. 29.

    Ebd., 235.

  30. 30.

    Ebd., 237.

  31. 31.

    Ebd., 229–230.

  32. 32.

    Frimmel: Kunsturteile, 214.

  33. 33.

    Vgl. Lotman: Zeichen und Zeichensystem, 151–173.

  34. 34.

    Vgl. Rau: Die Moskauer Prozesse, 22:20; 9:20.

  35. 35.

    Vgl. ebd.: 9:26.

  36. 36.

    Sasse: Verkehrungen ins Gegenteil.

  37. 37.

    Rau: Die Moskauer Prozesse. 16:00.

  38. 38.

    Ebd.: 46:23.

  39. 39.

    In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden wegen des Titelcovers der Weltwoche, in der ein den Roma angehöriges Kind eine Waffe auf die Leser*innen richtet, Strafanzeigen erstattet, alle Verfahren wurden jedoch eingestellt.

  40. 40.

    IIPM: Zürcher Prozesse, Kurt Imhof (Mitschrift der Autorin).

  41. 41.

    Vgl. Mouffe: Agonistics. Thinking the World Politically.

  42. 42.

    Vgl. dazu auch Sasse: Kunst vor Gericht, Kunst im Gericht und Kunst als Gericht, 219–234.

  43. 43.

    Zit. nach Džanpoladova: Posjagnul na Koščeevu iglu.

  44. 44.

    Zit. nach Azarev: Durnoj urok našej molodëži.

  45. 45.

    Als ‚Bewusstseinszeugen‘ haben wir Zeug*innen benannt, die – in Anlehnung an Lenins Geschichtsbegriff und die darin enthaltenen Unterscheidung von Spontaneität und Bewusstsein – bereits ein bestimmtes Bewusstsein bzw. einen bestimmten Glauben entwickelt haben, der diese affektive Reaktion hervorruft. In der Sowjetunion wird dieser Zeugentypus theatral eingeübt, in den Agitgerichten der 1920er Jahre. Vgl. Fröhlicher/Sasse: Das „richtige“ Sehen, 61–83.

Literatur- und Quellenverzeichnis

  • Austin, John L.: Zur Theorie der Sprechakte (How to do Things with Words). Stuttgart 1979.

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  • Müller, Simone: Kann Übersetzen strafbar sein? Itō Sei und der ‚Lady Chatterley Fall‘ in Japan. In: Matthias Meindl/Sylvia Sasse (Hg.): Literatur vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal (in Vorbereitung).

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  • Sasse, Sylvia: Wortsünden. Beichten und Gestehen in der russischen Literatur. München 2009.

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  • Sasse, Sylvia: ‚Words are no deeds.‘ Trials against literature in the Soviet Union. In: Ralf Grüttemeier/Ted Laros (Hg.): Literary trials. Exceptio artis and theories of literature in court. London u. a. 2015, 123–138.

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  • Sasse, Sylvia: Kunst vor Gericht, Kunst im Gericht und Kunst als Gericht. Künstlerische (Rück-)Aneignungen von Gerichtsprozessen. In: Sandra Frimmel/Mara Traumane (Hg.): Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal. Berlin 2018, 219–234.

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  • Stavickaja, Anna: Vystuplenie v zaščitu Ljudmiloj Vasilovskoj. Moskau 2005.

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  • Varšavskij, Jurij: Protokol vyezdnogo zasedanija Dzeržinskogo naradnogo suda po delu I. A. Brodskogo, obviniennogo v tunejadstve. In: Iosif Brodskij (Hg.): Tvorčestvo, ličnost’, sud’ba. St. Petersburg 1998, 274–282.

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Sasse, S. (2022). Performativität ersetzt Hermeneutik. Affektive Zeugenschaft im Gerichtssaal. In: Tuna, Z., Wischhoff, M., Zinsmaier, I. (eds) Bezeugen. Kriminalität in Literatur und Medien, vol 2. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05800-3_6

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