Zusammenfassung
Zwischen Formen eines Egozentrismus und dem Umgang mit dem unverfügbaren Absoluten besteht ein inniger Zusammenhang, der leibphänomenologisch analysiert werden kann, indem, so die Hauptthese, dargelegt wird, dass das Religiöse in der Verschränkung des Imaginativen als weltbildender Kraft und seiner Aktualisierung aufgrund der Erfahrung des Realen verortet ist. Die erste Subthese will zeigen, dass die Erfahrung des Religiösen mit einer absoluten Grenze im Vermögen meiner Leiblichkeit zu tun hat; die zweite Subthese, dass sich religiöse Erfahrung zwischen unserer egozentrischen Tendenz und einer Wirklichkeit, die uns absolut überschreitet, bewegt, und die dritte Subthese, dass es zwei mögliche Reaktionen auf dieses absolute Wirkliche gibt: eine Intensivierung meines natürlichen Egozentrismus oder die Offenheit, auf keinerlei Weise zu versuchen, das Absolute meinem Interesse zu unterstellen.
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12 April 2023
Die Originalversion des Buchs wurde revidiert. Die Zusammenfassungen in Kapitel 1 und 2 wurden auf SpringerLink korrigiert.
Notes
- 1.
Der Ausdruck ‚leiblich-körperlich‘ soll nicht nur leibliche Fähigkeiten benennen, sondern die Körperlichkeit des Leibs, mit der ich dem Realen Widerstand leiste, mit einbeziehen; dabei ist Körperlichkeit nicht in einem objektivierenden Sinn verstanden, sondern als Faktum realer subjektiver Existenz.
- 2.
Ernst Tugendhat untersucht in seiner Studie Egozentrik und Mystik den Zusammenhang von Religion bzw. Mystik und Egozentrismus. Er macht die Egozentrik jedoch am ‚ich‘-Sagen fest und untersucht nicht die leiblich-körperlichen Vorgänge, die allem Sprechen noch zugrunde liegen. Wichtig aber ist seine Schlussfolgerung, dass, „solange Mystik in einer primären Ausrichtung auf den eigenen Seelenfrieden besteht“, es „dem ‚ich‘-Sager nicht gelungen“ ist, „radikal von sich zurückzutreten“ (Tugendhat 2003, 149).
- 3.
Damit soll nicht gesagt sein, dass Welt subjektiv-relativ ist. Auf der Grundlage der Erfahrung realer Widerständigkeit ließe sich nach dem Realen fragen und vor diesem Hintergrund ein Weltbegriff entwickeln, der zwar mit imaginativen Mitteln gefasst wird, dessen Gehalt aber nicht relativ auf eine ihn imaginierende Existenz ist.
- 4.
Dieser Artikel entstand am Mitteleuropäischen Institut für Philosophie an der Fakultät für Humanwissenschaften der Karls-Universität in Prag.
Literatur
Florenski, Pawel. 1997. Die umgekehrte Perspektive [1919]. In Ders. Raum und Zeit, Hrsg. Olga Radetzkaja u. Ulrich Werner, 15–196. Berlin: KONTEXT.
Husserl, Edmund. 1952. Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch, Hrsg. Marly Biemel, Den Haag: Nijhoff (Husserliana IV).
Nietzsche, Friedrich. 1999. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik [1872]. München: dtv (KSA 1).
Nishida Kitarō. 1999. „Ich und Du“ [Watashi to nanji, 1932]. In Ders. Logik des Ortes. Der Anfang der modernen Philosophie in Japan, Hrsg. u. Übers. Rolf Elberfeld, 140–203. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Nishitani Keiji. 1982. Was ist Religion? Übers. Dora Fischer-Barnicol, Frankfurt am Main: Insel Verlag.
Tugendhat, Ernst. 2003. Egozentrizität und Mystik. Eine anthropologische Studie. München: C. H. Beck.
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Sepp, H.R. (2022). Imagination und Egozentrik. Ein leibphänomenologisches Profil religiöser Erfahrung. In: Ruckenbauer, HW., Moser, S. (eds) Säkularismus, Postsäkularismus und die Zukunft der Religionen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04955-1_11
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-04954-4
Online ISBN: 978-3-476-04955-1
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